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Kehrt Europa zum Verbrennungsmotor zurück?

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Elektrische Fahrzeuge standen über Jahre hinweg im Zentrum der europäischen Automobilvision. Das geplante Verbot des Verkaufs neuer Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ab 2035 schien politisch und industriell eine klare Richtung vorzugeben. Doch die Entwicklungen der letzten zwei Jahre zeigen, dass dieser Übergang deutlich weniger linear verläuft als erwartet. Die Verlangsamung der Marktdynamik, hohe Batteriekosten, fehlende Ladeinfrastruktur und insbesondere der aggressive Wettbewerb aus China haben eine erneute Bewertung der Strategie notwendig gemacht. Heute stellt sich Europa eine neue Frage: Ist eine vollständige Elektrifizierung wirklich realistisch, oder werden Hybrid- und Verbrennungsmotoren länger als erwartet Teil unseres Alltags bleiben?

Der Absatz von Elektrofahrzeugen hat sich 2024 und 2025 spürbar verlangsamt. Europäische Automobilhersteller betonen, dass die Nachfrage hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist und der Wegfall von Förderprogrammen das Verbraucherverhalten direkt beeinflusst hat. Parallel dazu wurde in Brüssel offiziell zur Diskussion gestellt, ob das Verbot ab 2035 erneut überprüft werden soll. Diese Entwicklung verdeutlicht, wie riskant es ist, den Übergang auf ein einziges Szenario festzulegen.

In der Lieferkette ist das Bild noch komplexer. Die Batterieproduktion ist weiterhin stark von chinesischen Lieferketten abhängig; die Kosten in Europa sind noch nicht wettbewerbsfähig. Der Markteintritt chinesischer Hersteller mit preisgünstigen Modellen zwingt europäische Marken zu strategischen Anpassungen. Viele Hersteller überdenken ihre ursprünglichen Pläne, sich ausschließlich auf Elektrofahrzeuge zu konzentrieren, und positionieren Hybrid- und Plug-in-Hybridfahrzeuge erneut als Übergangstechnologien. Einige große Hersteller haben ihre zuvor angekündigten Ziele – beispielsweise „ab 2030 ausschließlich Elektroproduktion“ – offiziell zurückgestellt.

Für Werke, Zulieferer und Produktionsplaner bedeutet diese Transformation die Notwendigkeit, mit mehreren Technologien gleichzeitig zu arbeiten. Eine neue Ära der integrierten Produktionsplanung hat begonnen, in der ICE-, Hybrid- und EV-Modelle parallel gefertigt werden. In dieser Phase gewinnen Kapazitätsplanung, Versorgungssicherheit bei Materialien, Preisvolatilität seltener Metalle und die Optimierung des Produktionsflusses strategische Bedeutung. Es geht nicht mehr nur um Fahrzeugverkäufe, sondern um die Widerstandsfähigkeit und Kosteneffizienz industrieller Prozesse. Produktionsplanungs-Software und simulationsbasierte Planungssysteme entwickeln sich zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor statt zu einem unterstützenden Werkzeug.

Diese Veränderung wird auch den After-Sales-Markt neu gestalten. Vor zehn Jahren sprach kaum jemand über Batteriemanagement, Software-Updates oder Sensorkalibrierung. Heute sind selbst Wartungsprozesse datengetrieben. Jede Verzögerung im Produktionssystem kann eine Kettenreaktion im Servicebereich auslösen.

Europa hat sein Elektrifizierungsziel nicht aufgegeben. Doch Geschwindigkeit, Umfang und Vorgehensweise werden neu definiert. Es geht nicht um eine Rückkehr zum Verbrennungsmotor, sondern um ein realistischeres Transformationsmanagement. Der neue Fahrplan basiert auf Wettbewerbsfähigkeit, Kosten, Lieferkettensicherheit und realistischen Verbraucherbedürfnissen. Die nächste Phase wird nicht allein durch Batterietechnologie bestimmt, sondern durch Planungsdisziplin, strategische Flexibilität und das Management industrieller Produktionsflüsse.

 
 
 

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